Mit der Fähre in die Vergangenheit
Von Jennifer Hein
Wasserbauingenieur
Jens Wyrwa erklärte bei einem Exkursion der VHS, wie wichtig die
Mainschifffahrt für Frankfurt früher war. Die Passagiere interessierten
sich aber mehr noch für die schöne Aussicht.
Höchst. Die
Abendsonne taucht die Bäume und Büsche am Mainufer in ein goldgelbes
Licht. Lichtreflexe des Flusses zucken auf den Kaimauern. Einen
schöneren Blick als von der "Walter Kolb" über das ruhige Wasser kann
es kaum geben. Die Gäste an Bord von Frankfurts einziger Personenfähre
genießen den frischen Fahrtwind und die grandiose Aussicht. Eigentlich
sollte es bei der Veranstaltung der Volkshochschule um eine "Flussfahrt
in die Vergangenheit", um die Industriegeschichte und den Verkehrsweg
Main gehen. Darum geht es auch. Deutlich mehr als Daten und Fakten
begeistern jedoch die Schönheit der Flusslandschaft und die dortige
Fauna.
"Schau mal dort ein Graureiher", ruft einer der Passagiere. So zieht
der grazile Fischjäger alle Aufmerksamkeit auf sich, als der
Wasserbauingenieur Jens Wyrwa über die neuen Kohleverladeanlagen des
Industrieparks Höchst berichten wollte. Die Fähre zieht an den alten
Backsteinhäusern des Industrieparks und der Baustelle auf der
gegenüberliegenden Seite vorbei. Rechts und links des Mains befindet
sich Werksgelände.
Kräne und Chemikalien
"Früher war das alles Ackerland", sagt Wyrwa. Das ist schon lange her. "Kohle war ein wichtiges Gut und wurde hier später verladen." Alte Verladekräne, die heute nur noch zu Museumszwecken dort stehen, werkseigene Brücken, Baustellen und Fabrikhäuser passiert die Fähre. Neugierig recken die Passagiere ihre Hälse über die Reling, machen Fotos. Von dieser Seite haben sie das alles selten gesehen. "Hier werden flüssige Chemikalien verladen. Der blaue Kegel dort sagt uns, das sie explosiv sind", erklärt Wyrwa.Nach einem kleinen Ausflug flussabwärts dreht Fährmann Rudi Kollath das Ruder und fährt mit lauten Motoren gegen die Strömung an. Es geht wieder vorbei am Anlegeplatz der Fähre. Anhand von Aufnahmen aus dem Jahr 1870 vergleichen die Fahrgäste den Wasserspiegel des Mains. Am Torbogen in der Stadtmauer ist zu erkennen, dass das Wasser damals gut drei Meter niedriger stand. Auch die alten Buhnen, die zur Flussregulierung dienten und eine befahrbare Fahrwasserrinne entstehen ließen, waren auf den alten Fotos zu sehen.
Vorbei am Höchster Schloss und dem Bolongaropalast, der vom Wasser aus verwunschen durch die Baumwipfel blitzt, an alten Mauerresten und Steinaufschüttungen, die das Ufer befestigen, geht es weiter Richtung Staustufe bei Griesheim. Wyrwa gönnt den Fahrgästen immer wieder ruhige Minuten, um den Blick schweifen zu lassen. "Wunderschön!" Renate Hauke genießt die Aussicht. "Ich finde es toll, meine Stadt aus allen Perspektiven kennen zu lernen." Wieder weckt die Tierwelt die Aufmerksamkeit. Zwei schwarze Kormorane nisten am Ufer.
Schleusen per Hand
Wyrwa erklärt, wo das alte Schleusenkammer-Häuschen stand. In der Flussmitte wurden früher die Tore per Hand bedient. "Heute läuft das alles mit Maschinenkraft", sagt Wyrwa an der Staustufe angekommen. Sie wurde in den 1920er Jahren gebaut, um der Handelsmetropole Frankfurt leistungsfähigere Verkehrswege zu erschaffen. "Hier stand auch das erste Kraftwerk, das nach 1945 Frankfurt wieder mit Energie versorgte", sagt Wyrwa.An gleich zwei Stellen in der Mainkurve Richtung Griesheim misst Wyrwa mit Hilfe eines Lotes die Wassertiefe. Er will beweisen: "An dieser Stelle ist der Main noch am natürlichsten." In der Innenkurve ist das Wasser flacher, nämlich etwa 4,5 Meter tief, in der Außenkurve um etwa einen Meter tiefer, zeigt das Lot. Bei Gesprächen über Kettenschlepper, Wasservögel- und tiefe und dem Grundwasserspiegel (er verhindert, das der Fluss versickert, weil er auf gleicher Höhe wie der Main steht), geht es nach zwei Stunden Flussfahrt wieder zurück zur Anlegestelle in Höchst - immer dem Sonnenuntergang entgegen.