folgt: 7. Turbulenzmodell hinauf: 6. Turbulenz in stabil vorher: 6.8 MONIN-OBUKHOV-Ähnlichkeit


6.9 Relativbewegung zwischen Feststoff und Fluid

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt 6.8 erkannt wurde, dass die Dichteschichtung für die Modellierung des Impuls- und Stofftransports im Ästuar wesentlich ist, stellt sich nun die Frage, welche Bedeutung der Relativbewegung der suspendierten Partikel gegenüber dem Fluid zukommt.

Als Maß für das Vermögen von Partikeln, der umgebenden Strömung zu folgen, wird hier die STOKES-Zahl verwendet. Wenn ein festes Partikel mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit in ein ruhendes Fluid entlassen wird, kommt es nach einem gewissen Bremsweg zum Stillstand. Dieser Bremsweg läßt sich unter der Annahme laminarer Umströmung6.22 berechnen und ist proportional zur Anfangsgeschwindigkeit. Wird nun der Bremsweg durch die Anfangsgeschwindigkeit geteilt, erhält man eine Relaxationszeit:
\begin{displaymath}
t_{r}=\frac{\rho_{s} \cdot d^{2} }{ 18 \cdot \mu }
\end{displaymath} (6.33)

mit
\(t_{r}\) Relaxationszeit,
\(d\) Durchmesser des Sediment-Partikels,
\(\rho_{s}\) Dichte des Sediments und
\(\mu\) dynamische Viskosität des umgebenden Fluids.


Mit Gl. (2.12) lässt sich der Zusammenhang zur Sinkgeschwindigkeit herstellen:
\begin{displaymath}
t_{r}=\frac{ w_{s} \cdot \rho_{s} }{g \cdot \left(\rho_{s}-\rho_{w}\right)}
\end{displaymath} (6.34)

mit
\(w_{s}\) Sinkgeschwindigkeit (Relativgeschwindigkeit im umgebenden Fluid),
\(\rho_{w}\) Dichte des Wassers und
\(g \) Fallbeschleunigung.


Die STOKES-Zahl6.23 bildet sich nun aus dem Verhältnis von Relaxationszeit \(t_{r}\) des Partikels zu einem die Strömung charakterisierenden Zeitmaß \(T_{c}\):
\begin{displaymath}
St=\frac{t_{r}}{T_{c}}
\end{displaymath} (6.35)

mit
\(T_{c}\) charakteristische Zeit.


Eine STOKES-Zahl größer als 1 bedeutet, dass sich die Strömung schneller ändert, als sich das suspendierte Sediment-Partikel dieser Änderung anpassen kann.

Um zu beschreiben, wie gut die Partikel der mittleren Bewegung der Strömung folgen können, wird ein charakteristisches Zeitmaß aus der tiefengemittelten Geschwindigkeit und der Wassertiefe gebildet:
\begin{displaymath}
T_{c}=\frac{h}{v_{b}}
\end{displaymath} (6.36)

mit
\(h\) Wassertiefe und
\(v_{b}\) tiefengemittelte Geschwindigkeit (bulk velocity)


Um zu beschreiben, wie gut die Partikel den kleinsten turbulenten Schwankungen folgen können, wird als Zeitmaß die KOLMOGOROV-Zeit6.24 \(t_{k}\) verwendet, wie SUNDARAM [127] es vorschlägt:
\begin{displaymath}
T_{c}=t_{k}=\sqrt{ \frac{\nu}{\epsilon} }
\end{displaymath} (6.37)

mit
\(\epsilon\) Dissipationsrate und
\(\nu\) kinematische Viskosität.


Untersuchungen zur Relativbewegung zwischen festen Partikeln und dem umgebenden Fluid wurden aus unterschiedlichen Motiven angestellt. RUCK [107] ist an der Genauigkeit der Laser-DOPPLER-Velozimetrie LDV interessiert. Bei dieser Messtechnik wird die Bewegung von Tracer-Partikeln gemessen, so dass der Rückschluss auf die Fluid-Geschwindigkeit davon abhängt, wie exakt die Partikel der Strömung folgen. RUCK fordert daher für LDV-Messungen \(St \ll 1\). Bei der kleinsten von ihm untersuchten STOKES-Zahl von 0,4 ergeben sich in der Volumenstrombestimmung noch Fehler von mehr als 10%. LING [71] berechnet mittels DNS6.25 die Verteilung von Partikeln in den KEVIN-HELMHOTZ-Wirbeln, die beim Umschlag6.26 einer Scherschicht entstehen. Die untersuchten Partikel wirken dabei nicht auf die Strömung zurück. In Abhängigkeit von der STOKES-Zahl formen die Partikel unterschiedliche Muster. Diese Muster entstehen dadurch, dass sich die Partikel in bestimmten Bereichen der Strömung ansammeln. Am stärksten ist der Effekt bei STOKES-Zahlen zwischen 1 und 10. Bei STOKES-Zahlen unterhalb von 0,1 ist er deutlich schwächer ausgeprägt. Vergleichbar mit den Berechnungen von LING [71] sind die in Bild 10 gezeigten turbulenten Strukturen. Sie sind durch das Rühren in vollständig durchmischten Suspensionen zustande gekommen. Bei der grau-braunen Suspension handelt es sich um Ton, der in Wasser aufgelöst wurde, also um ein kohäsives Sediment. Bei der orangenen Suspension handelt es sich um Möhrensaft. Die gezeigten Strukturen verschwinden nicht durch andauerndes Rühren, sie sind daher nicht auf die Vermischung von Konzentrationsunterschieden zurückzuführen. SUNDARAM [127] geht nun einen Schritt weiter und berechnet auch die Rückwirkung der Partikel auf die Turbulenz. Als Ausgangspunkt benutzt er die DNS-Berechnung einer abklingenden isotropen Turbulenz. Seine Berechnungen ergeben die erwartete Abnahme der kinetischen Energie der turbulenten Schwankungsbewegung und die Erhöhung der Dissipationsrate. Er untersucht Partikel mit STOKES-Zahlen zwischen 6,4 und 1,6. Je kleiner die STOKES-Zahl, umso geringer ist der Einfluss auf die Turbulenz. Insgesamt stellt [127] fest, dass in diesem STOKES-Zahlen-Bereich die Partikel turbulenzdämpfend wirken.

Für die in Abschnitt 5.2 beschriebenen Sedimente ergibt sich unter den in Abschnitt 5.6 eingeführten Ästuar-typischen Bedingungen Folgendes: Basierend auf den Angaben von [98] wird eine große Flocke mit einer Sinkgeschwindigkeit von 0,001 m/s und einer Dichte von 1 100 \(\frac{Kg}{m^{3}}\) sowie eine kleine Flocke mit einer Sinkgeschwindigkeit von 0,000 1 m/s und einer Dichte von 1 150 \(\frac{Kg}{m^{3}}\) betrachtet. Zum Vergleich wird ein Sandkorn mit einem Durchmesser von 0,000 4 m und einer Dichte von 2 650 \(\frac{Kg}{m^{3}}\) herangezogen. Als Relaxationszeit ergeben sich 0,000 078 2 s für die kleine Flocke, 0,001 12 s für die große Flocke und 0,023 s für das Sandkorn. Wird nun die STOKES-Zahl mit der Geschwindigkeit 0,8 m/s und der Wassertiefe 10 m gebildet, ergibt sich für die kleine Flocke \(St=6,26*10^{-6}\), für die große Flocke \(St=8,96*10^{-5}\) und \(St=1,84*10^{-3}\) für das Sandkorn. Wird zur Bestimmung der STOKES-Zahl hingegen die KOLMOGOROV-Zeit \(t_{k}\) als charakteristische Zeit verwendet, ist eine Annahme bezüglich der Dissipationsrate \(\epsilon\) erforderlich. Basierend auf den Angaben von [89] ergibt sich für \(\frac{\epsilon \cdot h}{ {v_{\tau}}^{3} }=265\) bei einem Sohlabstand von 0,01 m. An besagter Stelle und mit der kinematischen Viskosität von \(\nu=1*10^{-6}\) berechnet sich die KOLMOGOROV-Zeit zu 0,031 s. Daraus resultiert \(St=0,002 5\) für die kleine Flocke, \(St=0,036\) für die große Flocke und \(St=0,74\) für das Sandkorn.

In einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen [43], [130], [147] wird darüber berichtet, dass sich die Geschwindigkeitsprofile, die in Gerinneströmungen gemessen werden, welche Sediment in Suspension transportieren, durch Absenken des Wertes für die KARMAN-Konstante mit dem logarithmischen Wandgesetz Gl. (2.1) zur Deckung bringen lassen. Daher ist in Bild 9 auch eine Kurve mit der KARMAN-Konstanten \(\kappa=0,3\) eingetragen. Der Vergleich mit dem logarithmisch-linearen Wandgesetz, das sich aus Gl. (6.32) ergibt, zeigt Folgendes: die Kurven erreichen bei 2 m Sohlabstand fast identische Werte, die Abweichung vom logarithmischen Wandgesetz geht in dieselbe Richtung. Wenn die Unterscheidung getroffen werden soll, ob sich ein gemessenes Geschwindigkeitsprofil besser durch Gl. (6.32) oder durch einen verminderten Wert der KARMAN-Konstanten annähern lässt, ist es notwendig, dass die Form des Geschwindigkeitsprofils in den unteren 20% der Wassertiefe detailliert bekannt ist, und dass die Wandschubspannung unabhängig vom Geschwindigkeitsprofil gemessen worden ist. Eine Nachuntersuchung der Messungen, die ein Absinken des Wertes der KARMAN-Konstanten zeigen, wurde von [78] unternommen. Bei der Frage, ob der gemessene Effekt nicht vielleicht auch auf Dichteschichtung zurückführbar sei, gelangte [78] aber nicht zu eindeutigen Aussagen.

Wenn nun aber die Beobachtungen mit der Dichteschichtung, die vom suspendierten Sediment ausgeht, nicht, oder nicht vollständig erklärt werden können, müssen noch andere Ursachen vorliegen. Das Absinken des Wertes der KARMAN-Konstanten kann mit der Relativbewegung zwischen Feststoff und Fluid widerspruchsfrei erklärt werden. U.a. ist dies durch folgende Argumentationskette möglich: Die Relativbewegung zwischen Feststoff und Fluid führt zu einer Erhöhung der Dissipationsrate. Durch den in Gl. (6.24) zum Ausdruck kommenden Zusammenhang führt dies zu einer Verringerung der Makro-Länge \(L_{t}\) der Turbulenz, also auch zur Verringerung der Mischungsweglänge l. Die KARMAN-Konstante \(\kappa\) ist nun aber der Proportionalitätsfaktor zwischen Wandabstand und Mischungsweglänge, s. Gl. (2.8).

Die Frage, ob die Relativbewegung zwischen Feststoff und Fluid einen nennenswerten Einfluss auf die Turbulenz ausübt, kann bei Sand in Sohlnähe aufgrund der erreichten STOKES-Zahlen bejaht werden. Der Einfluss von kohäsiven Feinsedimenten mit STOKES-Zahlen unter 0,04 ist kleiner und wird im Folgenden vernachlässigt.

Es besteht Grund für den Zweifel, ob die Dichteschichtung und die Relativbewegung die einzigen Mechanismen sind, mittels derer suspendierte Sedimente auf die Turbulenz der Strömung einwirken. GUST [44] und WANG [138] berichten über den Einfluss von suspendierten kohäsiven Sedimenten6.27 ohne erkennbare Dichtegradienten auf die Strömung in Gerinnen. Die von [138] behauptete Verringerung des Sohlreibungs-Beiwertes kann nicht anhand der vorgelegten Messungen belegt werden, weil die Erhöhung der Viskosität in der Suspension dazu führt, dass die REYNOLDS-Zahlen der Experimente mit und ohne Sediment stark unterschiedlich sind. Die KARMAN-Konstante lässt sich aus den von [138] angegebenen Geschwindigkeitsprofilen nicht ermitteln. Die Dichte der Geschwindigkeits-Messpunkte in Wandnähe ist dafür zu gering. Auch GUST [44] berichtet 1975 über eine Verringerung des Sohlreibungs-Beiwertes. Leider ist er gezwungen, die Sohlschubspannung aus dem Geschwindigkeitsprofil zu bestimmen. Zudem hat GUST seine Experimente auf einer mit Schlick belegten Sohle durchgeführt. Dies wirft die Frage auf, wie eine weiche Wand auf die Strömung wirkt. Fernerhin sei noch darauf hingewiesen, dass sich durch geeignete Additive in Rohrleitungen erhebliche Widerstandsverminderungen erzielen lassen [96], die im Rahmen der hier angestellten Überlegungen nicht erklärbar sind.


folgt: 7. Turbulenzmodell hinauf: 6. Turbulenz in stabil vorher: 6.8 MONIN-OBUKHOV-Ähnlichkeit

Jens WYRWA * 2003-11-05