folgt: 2.2 Mischungswegmodell
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2.1 Vorgehensweisen in der Praxis
Numerische Simulationen des Transports kohäsiver Sedimente werden
bisher in der Planungspraxis im Tidebereich kaum eingesetzt.
Die Anwendungen numerischer Verfahren auf reale Situationen
in Ästuaren haben das Forschungs- und Erprobungsniveau noch nicht
überschritten.
Der Bedarf, Sedimenttransportprozesse vorhersagen zu wollen, ergibt sich aus
der wirtschaftlichen Anforderung, die Schiffbarkeit von Häfen und
Fahrrinnen zu gewährleisten, sowie dem umweltpolitischen Ziel, die Folgen
menschlicher Eingriffe in die Ökologie des Gewässers zu minimieren.
OELLERICH [90] erläutert den Bedarf an numerischen Berechnungen
als Grundlage von naturschutzrechtlichen Eingriffsfolgen-Abschätzungen.
Im Bereich der Binnengewässer werden Berechnungen des Transports von
kohäsiven Sedimenten (Suspensionstransport) bereits kommerziell angeboten.
Dieses Instrument wird bei Gutachten im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung
von Stauräumen genutzt. Dabei findet die Berechnung des Sedimenttransports
meist auf der Basis von 2D-tiefengemittelten Strömungsberechnungen statt.
Auf der InterCoh'942.1
haben HAMM et al.[45] eine
Vergleichsstudie vorgestellt, in der die Berechnungsverfahren namhafter
Laboratorien auf eine vertikal voll durchmischte Versuchsströmung angewendet
wurden. Dabei konnten lediglich qualitative Übereinstimmungen zwischen
Rechnung und Messung erzielt werden. In dem EU-Forschungsvorhaben
MAS2-CT92-0013 ,,Three dimensional numerical modelling
of cohesive sediment transport processes in estuarine environments``[72]
wurde 1994 ein
relativ hoher Stand erreicht, zu dem MALCHEREK [75]
wesentlich beigetragen hat.
Es wurde u.a. ein Abschnitt des Weserästuars berechnet.
Nach Anpassung der Randbedingungen an die Messungen gelang es,
das Entstehen einer Trübungszone im numerischen Modell zu reproduzieren.
Dies bedeutet nun nicht, dass die praktisch
tätigen Wasserbauingenieure den Transportprozessen von kohäsiven
Feinsedimenten, die zur Umlagerung von Schlick im Ästuar führen, hilflos
gegenüberstehen.
So erläutert beispielsweise RODIEK [105] die
Vorgehensweise beim Planfeststellungsverfahren zur Vertiefung der
Außenweser. GRAVERTS [41] verweist in
seinem Bericht über den Ausbau des Container-Terminals in Bremerhaven auf das
Monitoring der Verklappstellen, wo die beim Hafenbau unerwünschten, da nicht
tragfähigen Feinsedimente (Klei) ins Ästuar eingebracht wurden.
Die in der Praxis zur Vorhersage des Schlicktransports angewendeten Methoden
basieren auf den bisher bekannten Wirkungszusammenhängen, die in den Kapiteln
4 und 5 eingehender beschrieben werden. Dazu
werden Erfahrungen, Messungen und Strömungsberechnungen genutzt. Für die
Häfen und Fahrrinnen gibt es langjährige
Erfahrungen aus dem Baggerbetrieb. In regelmäßigen Abständen durchgeführte
Sohlpeilungen zeigen die sedimentierten bzw. erodierten Volumina. Die an
einigen Stellen mittlerweile kontinuierlich durchgeführten Messungen der
Schwebstoffkonzentrationen [144]
geben Aufschluss über Transportvorgänge.
Aus Strömungsberechnungen kann auf Sedimenttransportprozesse
rückgeschlossen werden. Dies ergibt sich aus der monotonen2.2Abhängigkeit der transportierten Sedimentmenge von der
Strömungsgeschwindigkeit. Daraus folgt: Wo die
Strömungsgeschwindigkeit sinkt, verstärkt sich die Tendenz zur
Sedimentation; wo höhere Geschwindigkeiten entstehen, verstärkt sich
die Tendenz zur Erosion. Diese Überlegung ist im Binnenbereich, wo
die Strömungsrichtung der Flüsse weitgehend gleich bleibt, sehr hilfreich.
Eingriffe können dann so gestaltet werden, dass z.B. dort, wo Erosionen
bereits zu Problemen führen, keine Erhöhungen der
Strömungsgeschwindigkeiten zugelassen werden. Die Strömung im
Tidebereich ändert sich im Verlauf der Tidephasen (Ebbe und Flut), und jede
Tide ist ein individuelles Ereignis. Daher führt die
Monotonieüberlegung
oft
nicht zum Ziel, weil sich nicht in allen Tidephasen die gleiche
Tendenz2.3 der Strömung ergibt. In solchen Fällen ist der genaue
funktionale Zusammenhang zwischen Sedimenttransport und Strömung
erforderlich. Um die langfristigen Veränderungen, denen das Hauptinteresse
der Praxis gilt, prognostizieren zu können, muss darüberhinaus eine
geeignete Mittelung über eine repräsentative Anzahl von Strömungen
durchgeführt werden.
Bis vor weingen Jahren waren 3D-Strömungsberechnungen
in Ästuaren aufgrund fehlender Rechnerkapazitäten noch gar nicht
möglich. Wie später noch zu zeigen sein wird, ist die
Auflösung in der Vertikalen für Simulationen des
Suspensionstransports im Tidebereich notwendig.
Nur hinreichend verifizierte Berechnungsverfahren, d. h. mit der Natur
ausreichend verglichene Ergebnisse, sind in der Praxis nützlich. Das heisst,
es müssen sichere Aussagen über die Abweichungen zwischen Simulation und
Realität machbar sein. Dem steht neben den Schwierigkeiten bei der
Modellierung der physikalischen Prozesse im Ästuar auch der Fakt entgegen,
dass Messwerte in der für die Modellverifikation nötigen zeitlichen und
räumlichen Dichte nur mit sehr erheblichem Aufwand beschaffbar sind.
Von der numerischen Simulation des Transports kohäsiver Sedimente erwartet
man sich in der Praxis nicht nur genaue quantitative Aussagen über
Erosions- oder Depositionsvolumina, sondern auch Hilfe bei der Aufkärung von
bisher noch unverstandenen Wirkmechanismen und Unterstützung bei der
Entwicklung neuer Technologien.
So werden in Emden neue Baggerstrategien [79]
[145] und andere
Verfahren zur Festlegung der nautischen Tiefe [5] erprobt.
In Bremerhaven
versucht man, den Hafenbecken möglichst schwebstoffarmes Wasser
zufließen zu lassen [144],
und in Hamburg wurden
Hafeneinfahrten geometrisch umgestaltet, um den Sedimenteintrag zu
vermindern [26].
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Jens WYRWA * 2003-11-05