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2.2.1 Turbulenter Impulsaustausch

Für die herausgehobene Darstellung des Mischungswegmodells nach [75] spricht, dass es in der Forschung zum Transport kohäsiver Sedimente eingehender erprobt und häufiger angewendet wurde [128] [151] als andere Turbulenzmodelle.

Dieses Kapitel führt nicht nur das PRANDTLsche Mischungswegmodell und die MUNK-ANDERSON-Dämpfungsfunktion [85] ein, sondern stellt dabei auch den Grenzschichtcharakter von Flachwasserströmungen und die RICHARDSON-Zahl als Kennzahl für Dichteschichtungen vor.

Dieser Abschnitt beschränkt sich darauf, die wesentlichen Eckpunkte des Mischungswegmodells darzustellen. Die gesamte Breite der physikalischen Phänomene, die in der Erforschung des Transports kohäsiver Sedimente abgedeckt werden muss, wird erst im Kapitel 5 sichtbar. Die vollständigen Formeln der grundlegenden Bilanzgleichungen befinden sich im Kapitel 6. Die hier angegebenen Formeln beziehen sich allein auf den vertikalen Impuls- und Massenaustausch. Bild 2 zeigt das verwendtete Koordinatensystem.

Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Oberflächengewässer in aller Regel sehr flach sind. So kommen z. B. im Weser-Ästuar Wassertiefen von über 20 Meter kaum vor. Bevor der Mensch begann, die Fahrrinne auszubaggern, war das Ästuar über weite Strecken wesentlich flacher als heute. Die Fahrrinnenbreite in der Weser beträgt ca. 200 Meter, das ganze Gewässer ist, gerade im Außenbereich, noch wesentlich breiter. In Längsrichtung erstreckt es sich von dem den Tidebereich abgrenzenden Wehr 5 km südlich von Bremen über eine Länge von ca. 120 km. Seeseitig ist der Übergang kontinuierlich und wird in etwa dort angesetzt, wo die Tiderinne der Weser (die auch als Fahrrinne markiert und unterhalten wird) im Boden der Nordsee nicht mehr erkennbar ist. Diese Stelle befindet sich nördlich der von den Ostfriesischen Inseln gebildeten Linie. D. h., in Ästuaren ist die Tiefe mehr als eine Zehnerpotenz kleiner als die Breite und mehr als drei Zehnerpotenzen kleiner als die Länge. Die Strömung hat somit Grenzschichtcharakter und wird hauptsächlich von der Reibung an der Gewässersohle geprägt.

Die grundlegenden Erkenntnisse zu dieser Art von Strömungen sind bei SCHLICHTING [111] dargelegt. Die Besonderheiten der Gerinneströmung lassen sich kompakt und durch Messungen untermauert bei NEZU und NAKAGAWA [89] nachlesen.

Charakteristisch für turbulente Grenzschichtströmungen bei Gleichdruck ist ein Abschnitt im Geschwindigkeitsprofil, der sich durch folgende logarithmische Funktion beschreiben lässt (logarithmisches Wandgesetz):
\begin{displaymath}
\frac{\overline{v}}{v_{\tau}}=
\frac{1}{\kappa }\ln \left( \frac{z}{z_{ref} }\right) +C
\end{displaymath} (2.1)

mit
\(\overline{v}\) zeitlich gemittelte Geschwindigkeit in Längsrichtung ,
\(v_{\tau}\) Schubspannungsgeschwindigkeit \( \sqrt{\frac{\tau_{b}}{\rho} } \) ,
\(\tau_{b}\) Wandschubspannung ,
\(\rho\) Dichte ,
\(\kappa\) KARMAN-Konstante ,
\(z\) Wandabstand (von der Sohle aufwärts) ,
\(z_{ref}\) Referenzabstand, s.u. und
\(C\) Konstante .


Für Strömungen in offenen Kanälen geben NEZU und NAKAGAWA [89] \(\kappa\)=0,412 an.

Im Fall von hydraulisch rauen Wänden steht der Referenzabstand für:
\begin{displaymath}
z_{ref}=k_{s}
\end{displaymath} (2.2)

mit
\(k_{s}\) äquivalente Sandrauheit nach NIKURADSE.


Die Konstante C hat in diesem Fall den Wert 8,5. Hydraulisch vollkommen rau sind Wände, wenn
\begin{displaymath}
\frac{k_{s} \cdot v_{\tau}}{\nu} > 70
\end{displaymath} (2.3)

ist.

Im Fall von hydraulisch glatten Wänden steht der Referenzabstand für:
\begin{displaymath}
z_{ref}=\frac{\nu}{v_{\tau}}
\end{displaymath} (2.4)

mit
\(\nu\) kinematische Viskosität.


Die Konstante C hat dann den Wert 5,29. Hydraulisch glatt sind Wände, wenn
\begin{displaymath}
\frac{k_{s} \cdot v_{\tau}}{\nu} < 5
\end{displaymath} (2.5)

ist. Zwischen hydraulisch glatt und vollkommen rau ergibt sich ein Übergangsbereich (siehe [111]).

Die Messungen von NEZU und NAKAGAWA [89] besagen, dass sich der logarithmische Bereich des Geschwindigkeitsprofils in Gerinneströmungen von \(z>30\frac{\nu}{v_{\tau}}\) bis \(z< 0,2 \cdot h\) erstreckt.

Die Grundlagen des Mischungswegmodells wurden, wie SCHLICHTING [111] angibt, von PRANDTL 1925 gelegt. Es ermöglicht einerseits eine zutreffende mathematische Berechnung des logarithmischen Bereichs im Geschwindigkeitsprofil. Andererseits wird durch das Konzept der Mischungsweglänge der Strömungsforschung auch eine Idee zum Verständnis turbulenter Grenzschichtströmungen an die Hand gegeben.

Das Mischungswegmodell gehört zur Gruppe der Wirbelviskositätsmodelle (BOUSSINESQ-Ansatz). Dabei wird der Impulsaustausch, der von den turbulenten Schwankungsbewegungen hervorgerufen wird, dito die turbulente Schubspannung, als Produkt einer skalarwertigen Funktion mit dem Gradienten der mittleren Geschwindigkeiten wie folgt angesetzt:


\begin{displaymath}
\tau_{t}=\nu_{t}\cdot \rho \cdot \left(
\frac{\partial \overline{v}}{\partial z} \right)
\end{displaymath} (2.6)

mit
\(\tau_{t}\) Turbulente Schubspannung und
\(\nu_{t}\) Wirbelviskosität .


Die Mischungsweglänge ist im Mischungswegmodell mit der Wirbelviskosität wie folgt verknüpft (ohne Einfluss der Dichteschichtung):
\begin{displaymath}
\nu _{t}= l^{2}\cdot \left( \frac{\partial \overline{v}}{\partial
z}\right) \end{displaymath} (2.7)

mit
\(l\) Mischungsweglänge .


Neben dem BOUSSINESQ-Ansatz benötigt das Mischungswegmodell nun eine weitere Annahme, nämlich einen Ansatz für die Größe der Mischungsweglänge. Für sie setzt [75] folgende Rampenfunktion an:
\begin{displaymath}
l=\left\{ \begin{array}{c}
\kappa \cdot z\\
\kappa \cdot 0,...
...}{c}
0\leq z\leq 0,2 \cdot h\\
0,2 \cdot h<z\leq h
\end{array}\end{displaymath} (2.8)

mit
\(h\) Wassertiefe


Die von [89] vorgeschlagene Rampenfunktion knickt bei \(z=0,29 \cdot h\).

Mathematisch herleiten lässt sich eine logarithmische Geschwindigkeitsverteilung aus einem linearen Verlauf der Mischungsweglänge nur dann, wenn die Schubspannung als konstant angenommen wird. Im Rohr und im Gerinne ist der Schubspannungsverlauf aber linear2.4. Wenn Schubspannungsverlauf und Geschwindigkeitsverteilung bekannt sind, lässt sich die Verteilung der Mischungsweglänge berechnen. Diese bereits von NIKURADSE [88] 1933 vorgenommene und von SCHLICHTING [111] wiedergegebene Auswertung zeigt eine Kurve, die sich in Wandnähe an eine Gerade, die die KARMAN-Konstante als Steigung hat, anschmiegt.

Der konstante Verlauf der Mischungsweglänge im oberen Teil des Wasservolumens wird durch Messungen gestützt; siehe z.B. [89]. In diesem wandfernen Bereich weicht das Geschwindigkeitsprofil vom logarithmischen Verlauf ab. Warum die Diskussion der oberen 80% des vertikalen Geschwindigkeitsprofils im Ästuar wenig Erkenntniswert hat, wird in Abschnitt 6.8 erläutert.

Die hinter dem Mischungswegmodell stehende Vorstellung ist folgende: Die Distanz, die ein ,,Fluidballen`` zurücklegt, bis er seinen Impuls an das umgebende Fluid abgegeben hat, ist proportional zum Wandabstand. Dem Ansatz liegt also eine Idee von der Größe der turbulenten Strukturen zugrunde.

Unterhalb des logarithmischen Bereichs befindet sich eine verschwindend dünne Unterschicht, in der die Geschwindigkeit entweder von der Viskosität (hydraulisch glatte Wände) oder von den Rauheitselementen (hydraulisch raue Wände) bestimmt wird. Wie allgemein üblich, plaziert [75] daher den sohlnächsten Punkt des Diskretisierungsgebiets nicht unmittelbar auf der Sohle, sondern der Punkt wird gedanklich ein wenig von der Wand entfernt, so dass er sich bereits im logarithmischen Bereich befindet. Die Verbindung zur Wand wird durch Wandfunktionen hergestellt. Als Randbedingung wird dann nicht die Wandhaftung angesetzt, sondern es wird eine Schubspannung als Randbedingung verwendet, die sich aus der Geschwindigkeit an diesem Punkt und einem Reibungsbeiwert ([75] verwendet den CHEZY-Koeffizienten mit einem empirisch bestimmten Wert von 29,4) wie folgt berechnet:
\begin{displaymath}
\tau _b = \left. \nu _{t}\frac{\partial \overline{v}}{\parti...
...vert _{z=z_{b}}=
\frac{\overline{v}(z_{b})^{2}}{Ch \cdot h^{2}}\end{displaymath} (2.9)

mit
\(z_{b}\) Wandabstand des sohlnächsten Diskretisierungspunkts und
\(Ch\) CHEZY-Koeffizient .


Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass dadurch ein Rauheitsparameter in das Berechnungsverfahren eingeführt werden kann. Aber auch bei glatten Wänden erleichtern Wandfunktionen die numerische Berechnung erheblich. Die Diskretisierung des wandnächsten Bereichs, der aufgrund der hohen Geschwindigkeitsgradienten eine sehr feine Diskretisierung erfordern würde, entfällt. Außerdem muss das Turbulenzmodell nicht erweitert werden, um den Übergang zur viskosen Unterschicht zu erfassen. Diese Erleichterung hat allerdings zur Folge, dass der Reibungsbeiwert empirisch bestimmt werden muss und Grenzschicht-Ablösung und -Umschlag nur mit weiteren Modellannahmen simuliert werden können.
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Jens WYRWA * 2003-11-05