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8.2.2 Konvektion

CASULLI [20] verwendet zur Darstellung der Konvektion eine EULER-LAGRANGE-Methode (ELM)8.4. Die Geschwindigkeitsänderung, der ein Partikel während eines Zeitschritts unterworfen ist, wird dabei wie folgt ermittelt: Von der Geschwindigkeit desjenigen Fluidpartikels, das sich zum aktuellen Zeitpunkt am Diskretisierungspunkt (Kantenmitte) aufhält8.5, wird diejenige Geschwindigkeit abgezogen, die dasselbe Partikel zum vorangegangenen Zeitpunkt gehabt hat8.6. Zum vorangegangenen Zeitpunkt hat sich das Teilchen aber noch an einem anderen Ort befunden. Um diesen Ort auffinden zu können, muss daher die Bahnlinie des Teilchen zurückverfolgt werden. D. h., in Gl. (8.1) wird für die Geschwindigkeit des vergangenen Zeitpunkts die Geschwindigkeit eingesetzt, die am Ursprung der Bahnlinie geherrscht hat. Bild 14 veranschaulicht diesen Sachverhalt.

Klassische Finite-Differenzen-Verfahren sind aus Stabilitätsgründen darauf angewiesen, dass die COURANT-Zahl,
\begin{displaymath}
Cr=\frac{v \Delta t}
{\Delta x}
\end{displaymath} (8.3)

mit
\(v\) Geschwindigkeit,
\( \Delta t \) Zeitschrittweite und
\(\Delta x\) Maschenweite des Netzes,


kleiner als Eins, \(Cr<1\), bleibt [75]. Die COURANT-Zahl gibt für eine als konstant angenommene Strömungsgeschwindigkeit an, wie viele Netzmaschen ein Fluidpartikel in einem Zeitschritt durchläuft. Bei der ELM, die eine Bahnlinienrückverfolgung beinhaltet, ist \(Cr<1\) kein notwendiges Kriterium. Für die praktische Berechnungsdurchführung im Ästuar würde \(Cr<1\) bei Geschwindigkeiten bis ca. 1 m/s und Maschenweiten von ca. 10 m bedeuten, dass die Zeitschrittweite unter 10 s liegen müsste. Um die Instationarität von Tidewellen zu erfassen, sind aber Zeitschritte von einer Viertelstunde (900 s) meist völlig ausreichend, d. h., \(Cr<1\) würde den Rechenaufwand um den Faktor 90 erhöhen.

Der Vorteil des geringeren Rechenaufwandes bei der ELM wird auch von CROUCHER und O`SULLIVAN [27] beschrieben, die für Stofftransportberechnungen in Ästuaren eine ELM für die Berechnung der Konvektion mit einem Finite-Elemente-Verfahren für die Berechnung der Diffusion koppeln.

Im Zusammenhang mit der Berechnung der Konvektion mittels der ELM ergeben sich zwei Probleme.

Erstes Problem:
Um Bahnlinien berechnen zu können, ist es erforderlich, im numerischen Verfahren eine Möglichkeit zu schaffen, an jedem beliebigen Punkt des Berechnungsgebiets einen Geschwindigkeitsvektor bestimmen zu können. Dazu ist eine Interpolation erforderlich. In dem hier implementierten Verfahren wird zuerst der Geschwindigkeitsvektor an jedem Knoten bestimmt (s. Bild 13). Dazu werden alle Kanten, die an dem Knoten zusammenlaufen, verwendet. Hat der Knoten mehr als zwei Kanten, wird gewichtet interpoliert. Die Geschwindigkeit an einer beliebigen Stelle in einem Element berechnet sich dann als lineare (Dreieck) oder bilineare (Viereck) Interpolation aus den Knoten-Geschwindigkeiten. Bei der Verwendung von linearen Interpolationen kommt es stets zu einer Verflachung von Gradienten der Strömungsgrößen. Knicke oder Unstetigkeiten in den Verteilungen werden ausgerundet. Die Wirkung der Interpolation ist also der einer Diffusivität ähnlich, weswegen hier von numerischer Diffusivität gesprochen wird, die sich als ein Problem herausstellt. Im hier implementierten Verfahren sinkt die numerische Diffusivität, wie bereits von CASULLI [20] beschrieben, mit zunehmender COURANT-Zahl8.7, d.h., je weniger Interpolationen vorgenommen werden müssen, umso genauer ist das Ergebnis. Zur numerischen Diffusivität siehe auch die Testrechnung in Abschnitt 9.2.7. Mit Interpolationsfunktionen höherer Ordnung ist es möglich, die numerische Diffusivität zu verringern; man läuft aber Gefahr, unnatürliche Oszillationen zu erhalten.

Zweites Problem:
Der im Programm ,,casu`` implementierte numerische Algorithmus ist nicht drallerhaltend. Dieser Sachverhalt sei am Beispiel einer kreisförmigen Stromlinie erläutert: Bei Wirbelströmungen, wie sie z. B. in Form des Potentialwirbels sogar reibungsfrei möglich sind, verlaufen Stromlinien in geschlossenen Kreisen. Der Impuls des Fluidpartikels bleibt dabei konstant. Die beständige Impulsänderung (Richtungsänderung) auf der Kreisbahn wird von zentripetal wirkenden Druckkräften hervorgerufen8.8. Als Ursache für die numerisch bedingte Impulsabnahme auf gekrümmten Bahnlinien lässt sich der Umstand angeben, dass der Druckgradient8.9entlang der Bahnlinie im Verfahren nicht erfasst wird. Die Impulsabnahme beim Durchlaufen eines Vollkreises berechnet sich wie folgt:
\begin{displaymath}
\frac{I_n}{I_u}=\left(\cos \alpha \right)^{\frac{2 \pi }{\alpha}}
\end{displaymath} (8.4)

mit
\(I_n\) Impuls nach Durchlaufen eines Vollkreises,
\(I_u\) ursprünglicher Impuls und
\(\alpha\) Bahnlinienwinkel je Schritt.


Wird ein Vollkreis in Segmenten von \(\alpha\)=10 Grad berechnet, ist nach einer Umdrehung nur noch \( 58 \% \) des urprünglichen Impulses \(I_u\) übrig. Erst bei einem Bahnlinienwinkel \(\alpha\) unter einem Grad bleibt mehr als \( 95 \% \) des urprünglichen Impulses erhalten. Z. B. hat der Blexer Bogen im Weser-Ästuar (s. Bild 3) einen mittleren Radius von ca. 3000 m. Bei Strömungsgeschwindigkeiten von 1 m/s wären Zeitschritte unter 52 s nötig, um die Bahnlinienkrümmung pro Zeitschritt unter einem Grad zu halten. Der hier implementierte numerische Algorithmus erzwingt also relativ kleine Zeitschritte, wenn Kurvenströmungen genau erfasst werden sollen. Zum Impulsverlust bei gekrümmten Bahnlinien siehe auch die Testrechnung im Abschnitt 9.2.6.

In der Berechnungspraxis ergeben sich aus den beiden o. a. Problemen widerstreitende Anforderungen: Zum einen ist es günstig, einen Zeitraum mit möglichst wenigen großen Zeitschritten zu erfassen, um die numerische Diffusion klein zu halten; zum anderen sollte der Zeitschritt möglichst klein gehalten werden, um auf gekrümmten Bahnlinien die numerisch bedingte Impulsabnahme gering zu halten. Zwei Auswege aus diesem Dilemma sind möglich. Zum einen bietet es sich an, durch höhere Interpolationsfunktionen die numerische Diffusivität zu verringern, um auch mit kleinen Zeitschritten genau rechnen zu können. Zum anderen ist es denkbar, das Verfahren dergestalt zu erweitern, dass die numerische Impulsabnahme auf gekrümmten Bahnlinien verringert wird. Vorschläge zum erstgenannten Ausweg sind von [74] gemacht worden. Zur Verringerung des Berechnungsaufwandes ist der letztgenannte Ausweg vorzuziehen. Entsprechende Versuche konnten im Rahmen dieser Arbeit noch nicht erfolgreich abgeschlossen werden.
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Jens WYRWA * 2003-11-05