folgt: 9.3.5 Zwischenfazit hinauf: 9.3 Turbulenzmodell vorher: 9.3.3 Logarithmisches Wandgesetz


9.3.4 Ebene Scherschicht

Die ebene Scherschicht (engl. two-dimensional mixing layer) ist eine Strömungskonfiguration aus der Gruppe der freien Scherschichten. In der ebenen Scherschicht existieren zwei Bereiche mit unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bei gleicher Strömungsrichtung. Diese Bereiche tauschen über eine ebene Trennfläche hinweg miteinander Impuls aus. Dadurch wächst stromab die Dicke dieser reibungsbeeinflussten turbulenten Scherschicht. Die Rate, mit der die Dicke der Scherschicht wächst, ist ein Maß für die Größe des Impulsaustauschs.

WILCOX [143] vergleicht seine Berechnungen der ebenen Scherschicht mit den Messungen, die von LIEPMANN und LAUFER 1947 [70] veröffentlicht worden sind. Hier werden die Messungen, die WYGNANSKI und FIEDLER 1970 [146] veröffentlicht haben, zum Vergleich herangezogen. Die signifikant größere Ausbreitungsrate in den letztgenannten Messungen nehmen SLESSOR et al. [121] zum Anlass, den Einfluss der Zufluss-Randbedingungungen auf die Anwachsrate zu untersuchen. Durch Manipulation der Wandgrenzschicht (Umschlagsdraht) auf einer Zunge, welche die beiden Strömungen vor ihrem Zusammenfließen trennt, gelingt es [121] die Anwachsrate um 21% zu verringern. Dieser Effekt, den auch [6] und [31] beobachtet haben, tritt nicht nur direkt hinter dem Zusammenfluss auf, sondern bleibt bis ins Fernfeld der Strömung erhalten, wo die Scherschicht eine große REYNOLDS-Zahl9.8 erreicht.

Für den Vergleich zwischen Berechnungen und Messungen ist es bei der numerischen Simulation also offenbar entscheidend, die Randbedingungen genau wiederzugeben. Für die weitere Entwicklung der Scherschicht ist es ausschlaggebend, wie genau es gelingt, den Beginn der Scherschicht bei kleinen REYNOLDS-Zahlen, z. T. sogar den Umschlag der einströmenden laminaren Grenzschichten zu simulieren. Entsprechende Anforderungen sind für den Wasserbau aber wenig praxisrelevant, da Strömungen in flachen Oberflächengewässern durchweg turbulent sind und an der Sohle und zum Ufer hin breite turbulente Grenzschichten aufweisen.

Die Relevanz der ebenen Scherschichtströmung ergibt sich für den Wasserbau aus der Ähnlichkeit mit den Scherschichten, die z. B. in Hafeneinfahrten oder vor Buhnenfeldern auftreten. BOOIJ [8] untersucht im Labormodell einen Hafen von quadratischem Grundriss. Er gibt an, dass die Anwachsrate der Scherschicht am oberen Rand der bei freien Scherschichten gemessenen Werte liegt. BIJVELDS [7] untersucht ebenfalls die Daten von BOOIJ und findet, dass die Anwachsraten signifikant größer sind als diejenigen in den freien Scherschichten, die er zum Vergleich heranzieht. VAN SCHIJNDEL [112] studiert eine Hafeneinfahrt im physikalischen Modell. Durch die Anordnung einer permeablen Pfahl-Buhne im Fluss stromauf der Hafeneinfahrt verringert sich der Massen- und Impulsaustausch um ca 50 %. Dies lässt nun vermuten, dass die Wirkung der sogenannten CHRISTIANSEN-Umlenkwand [26] vor allem auf die Vergrößerung der Scherschichtbreite zurückzuführen ist. Laborversuche an freien Scherschichten, die eine praxisrelevante Beurteilung der Genauigkeit von numerischen Modellen für den Einsatz in der wasserbaulichen Praxis erlauben, müssten also hohe Turbulenzgrade, hohe REYNOLDS-Zahlen, raue Wände, ausgeprägte Wandgrenzschichten und eine entsprechende Spanne von Randbedingungen abdecken. Zudem wäre es erforderlich, auch experimentell den Einfluss der Sohlreibung auf die quasi freie Scherschicht zu untersuchen.

In dieser Arbeit ist die Untersuchung der ungeschichteten ebenen Scherschicht zudem als Referenz für die Untersuchungen der dichtegeschichteten ebenen Scherschicht in Abschnitt 9.4.2 erforderlich.

Ähnlich wie beim runden Freistrahl und der Nachlaufströmung wird bei der ebenen Scherschicht Selbstähnlichkeit beobachtet. Nach einer gewissen Anlaufstrecke tritt in allen Querschnitten senkrecht zur Hauptströmungsrichtung immer wieder die gleiche Geschwindigkeitsverteilung auf, wenn die Querkoordinate geeignet mit der Lauflänge skaliert wird. Selbstähnlichkeit lässt sich wie folgt beschreiben [143]:
\begin{displaymath}
\frac{v-v_u}{v_o-v_u}=f\left(\eta\right)
\end{displaymath} (9.27)

mit

\begin{displaymath}\eta=\frac{z-z_m}{x-x_0}\end{displaymath}

Hierin gilt:
v Geschwindigkeit in Hauptströmungsrichtung x,
\(v_o\) Geschwindigkeit weit oberhalb der Scherschicht (schnelle Seite),
\(v_u\) Geschwindigkeit weit unterhalb der Scherschicht (langsame Seite),
x Raumkoordinate in Hauptströmungsrichtung,
\(x_0\) virtueller Ursprung der Scherschicht,
z Raumkoordinate senkrecht zur Scherschicht und
\(z_m\) Stelle in der Scherschicht an der \(v=v_o-v_u / 2\).


Bei der ebenen Scherschicht muss die Koordinate z (senkrecht zur Scherschicht) mit der ersten Potenz der Lauflänge x skaliert werden, d. h. die Aufweitung der ebenen Scherschicht erfolgt keilförmig. Die Geschwindigkeitsmessungen an der ebenen Scherschicht zeigen, dass die Annahme des selbstähnlichen Verhaltens vom Experiment in guter Näherung bestätigt wird [6], [146] .

Die Selbstähnlichkeit ermöglicht es, die Differential-Gln. (7.1) und (7.2), die das Turbulenzmodell darstellen, auf ein 1D-Problem zu reduzieren. Von WILCOX [143] ist eine Software veröffentlicht worden, welche die selbstähnliche Lösung der ebenen Scherschicht auch für das k-\(\epsilon\)-Modell berechnet. Die Anwendung dieser Software hat bei einer Ortsschrittweitenverfeinerung keine konvergenten Ergebnisse ergeben. Daher ist die ursprüngliche Idee, anhand dieser Testrechnung auch die datentechnische Implementierung des Konvektionsterms des Turbulenzmodells zu überprüfen, aufgegeben worden. Im Rahmen dieser Arbeit lässt sich die noch fehlende Überprüfung des Konvektionsterms des Turbulenzmodells mit weniger Aufwand anhand des Testfalls ,,isocon`` aus Abschnitt 9.3.1 vornehmen.

Für diesen Abschnitt wurden Testrechnungen für zwei unterschiedliche Anordnungen der Scherschicht durchgeführt. In der einen Anordnung findet die Impulsdiffusion bzw. Reibung vertikal statt, d. h. der schnellere Strom reibt an dem unter ihm fließenden langsameren. In der anderen Anordnung wird der Impuls horizontal diffundiert, d. h. die beiden unterschiedlich schnellen Ströme fließen in der Draufsicht nebeneinander. Diese beiden Berechnungen sind durchgeführt worden, da sich im Programm ,,casu`` die Diskretisierung der horizontalen Raumrichtungen von derjenigen der vertikalen Raumrichtung unterscheidet. Dieses Vorgehen verschafft eine zusätzliche Sicherheit gegen Implementierungsfehler.

Bild 32 zeigt die Geschwindigkeitsverteilung v(x,z) für die Testrechnung mit dem vertikalen Impulsaustausch (,,fresh``), die Verteilung für die Testrechnung mit dem horizontalen Impulsaustausch (,,hofresh``) sowie den Vergleich der Geschwindigkeitsprofile am Ausströmrand mit den Messungen von WYGNANSKI und FIEDLER [146]. Dazu ist Folgendes anzumerken: Stabilität bei der Testrechnung mit vertikalem Impulsaustausch lässt sich nur erzielen, wenn das Geschwindigkeitsprofil der Zuströmung abgeflacht wird. Bei der Testrechnung mit horizontalem Impulsaustausch kann eine freie seitliche Zuströmung angeordnet werden, während der Strömungsraum bei der Testrechnung mit vertikalem Impulsaustausch durch die Sohle und den Wasserspiegel begrenzt ist. Die Strömung entspricht somit dem Beginn der Strömung über eine rückspringende Stufe inklusive der Tendenz, eine Rückströmzone zu bilden und im weiteren Verlauf an der unteren Wand wieder anzuliegen. Die größere Scherschichtbreite in der ,,fresh``-Konfiguration gegenüber der ,,hofresh``-Konfiguration lässt sich mit der seitlichen Begrenzung und der größeren Zulaufbreite vollständig erklären. Es bleibt also der Umstand festzuhalten, dass das k-\(\epsilon\)-Modell eine zu geringe Scherschichtbreite berechnet, wenn mit den Messungen von WYGNANSKI und FIEDLER [146] verglichen wird. Auf eine besonders detaillierte Nachbildung der Zuflussbedingungen in der Messung wurde hier verzichtet, weil, wie oben bereits ausgeführt, die Messungen im Bezug auf den Wasserbau wenig praxisrelevant sind. Dies gilt auch für die quantitative Ermittlung der Abweichung zwischen Berechnung und Messung.

Bild 33 vergleicht zwei Berechnungen in der ,,fresh``-Anordnung. Im ersten Fall hat die kinetische Energie der Turbulenz k am Zuströmrand den Wert 0,02 \(m^2\)/\(s^2\), im zweiten Fall 0,06 \(m^2\)/\(s^2\). Die Dissipationsrate \(\epsilon\) beträgt in beiden Berechnungen am Einströmrand 0,006 \(m^2\)/\(s^3\). Dies entspricht einem Turbulenzgrad von 12% bzw. 20%. In der Mitte der Scherschicht ergeben Messungen [146] einen Turbulenzgrad von 16% . Der erhebliche Unterschied in der Ausbreitung der Scherschicht lässt erkennen, dass die große Sensitivität der Strömung bzgl. der Zuströmbedingungen auch in der numerischen Berechnung auftritt.

Bild 34 zeigt die Verteilung der Turbulenzgrößen k und \(\epsilon\), sowie die zeitlich gemittelte Geschwindigkeit v. Bild 35 stellt zwei Berechnungen in der ,,hofresh`` Konfiguration den Messungen von WYGNANSKI und FIEDLER [146] gegenüber. Die erste Berechnung ist mit den Standard-Konstanten des k-\(\epsilon\)-Modells durchgeführt worden. In der zweiten Berechnung ist \(C_\mu\) an die Messungen angepasst (rekalibriert) worden. Dabei ist es erforderlich, \(C_\mu\) von 0,09 auf 0,16 anzuheben.

Unter der Kennung ,,hofresh`` befindet sich die Testrechnung mit dem horizontalen Impulsaustausch und unter der Kennung ,,fresh`` die Testrechnung mit dem vertikalen Impulsaustausch in der bereits angegebenen Quelle http://www.wyrwa.de/casu/test.
folgt: 9.3.5 Zwischenfazit hinauf: 9.3 Turbulenzmodell vorher: 9.3.3 Logarithmisches Wandgesetz

Jens WYRWA * 2003-11-05